Zusammenfassung
Ein Wandbild zum Gedenken an Opfer des NSU wurde in Chemnitz geschändet. ASA-FF e.V. fordert Aufklärung und Positionierung von Sven Schulze, dem Chemnitzer Oberbürgermeister und Carsten Kaempf, dem Chemnitzer Polizeipräsidenten.
Offener Brief
Sehr geehrter Oberbürgermeister Schulze,
sehr geehrter Polizeipräsident Kaempf,
werte gewählte Vertreter*innen und Mitarbeitende der Stadt Chemnitz, Mitarbeitende der Polizeidirektion Chemnitz,
im Folgenden senden wir Ihnen einen Brief mit der dringlichen Bitte um Aufklärung und Positionierung von Ihrer Seite.
Wandbild geschändet: Wir fordern Aufklärung
Ein Mahnmal an die Opfer und Betroffenen des NSU in Chemnitz wurde geschändet – wir fordern Aufklärung und sehen die Tat nicht als Einzelfall, sondern als Teil rechter, rassistischer und menschenfeindlicher Strukturen der Stadt Chemnitz
Das Wandbild “In unserer Mitte” in Gedenken an die Opfer und Betroffenen des NSU-Komplexes im ehemaligen Fritz-Heckert-Gebiet (Chemnitz) wurde geschändet. Die Polizei Chemnitz veröffentlichte die Tat sowie den Fakt, dass der Staatsschutz Ermittlungen aufgenommen hat, am vergangenen Freitag (23. Februar).
Das Zerstören des Gedenkens und die Verleugnung der rechten und rassistischen Taten ist ein erneuter Gewaltakt und eine Fortsetzung der Gewalt für die Betroffenen, Angehörigen und Überlebenden des NSU-Komplexes. Der Verein ASA-FF, der seit vielen Jahren in diesem Kontext arbeitet, derzeit vor allem mit dem Projekt Offener Prozess, verurteilt die Tat zutiefst. Wir stehen in Solidarität mit den Angehörigen.
Das Memorial an einer Hausfassade der Wohnungsgenossenschaft „EINHEIT“ eG entstand in Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen der Freiraumgalerie – Kollektiv für Raumentwicklung und des Wall & Space e. V. sowie einigen Angehörigen der Ermordeten. Es zeigt zehn Gegenstände, die an die Leben, die Wünsche und Träume der Ermordeten erinnern. Das visuelle Gedenken erzählt die persönlichen Geschichten der Betroffenen an dem Ort, an dem der NSU über zwei Jahre lebte und vernetzt war. Von hier brach er auf zum Morden. Im Oktober 2023 wurde das Wandbild auch in Anwesenheit von Angehörigen der Mordopfer des NSU feierlich eröffnet.
Die Schändung des Wandbildes verdeutlicht abermals die Kontinuitäten gegenwärtiger rechter, rassistischer und antisemitischer Strukturen, des Handelns und der Diskurse in der Stadt Chemnitz. Es ist ein aktiver Versuch, das Gedenken an die Ermordeten zu verhindern und die rechte und rassistische Taten zu leugnen.
Der Angriff auf den Ort der Erinnerung ereignete sich in der Woche, die ohnehin geprägt ist von Trauer und Schmerz. Bundesweit trauerten Menschen um die Opfer des rassistischen Terroranschlags vom 19.Februar 2020 in Hanau sowie an Mehmed Turgut, der vor zwanzig Jahren am 25. Februar
2004 vom NSU in Rostock ermordet wurde. Den Anschlag auf das Wandbild verstehen wir daher als einen symbolischen Angriff.
Das Gedenken und Erinnern an Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt treffen immer wieder auf gesellschaftliche Widerstände und aktive Gegenwehr. Der Vorfall am 19. Februar in Chemnitz macht dies deutlich. Die Polizei entfernte die aufgestellten Blumen und Kerzen, die für die in Hanau ermordeten Menschen niedergelegt wurden, unmittelbar nach der öffentlichen Gedenkveranstaltung. Beteiligte der Mahnwache hatten den Platz noch nicht verlassen und dokumentierten die Tat filmisch. Nach großem Protest durch zivilgesellschaftliche Akteur*innen entschuldigte sich die Polizeidirektion Chemnitz zwar, der Vorfall ist dennoch exemplarisch für die institutionelle Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern und Angehörigen menschenverachtender Gewalt.
Auch dreizehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU, fast acht Jahre nach dem Anschlag am Olympia Einkaufszentrum in München, fünf Jahre nach dem Terroranschlag in Halle (Saale) und vier Jahre nach Hanau, bleibt das aktive, öffentliche Gedenken und Erinnern an die Opfer und Betroffenen umkämpft. Damit bleiben Erinnern und Gedenken an die Opfer menschenverachtender Gewalt weiterhin eine dringliche gesellschaftliche Aufgabe. Die Taten müssen vollständig und schnell aufgeklärt werden, die Forderungen der Betroffenen müssen erfüllt werden – es darf keinen Schlussstrich geben!
Darum braucht es öffentliche und zentrale Orte des Erinnerns: für Anerkennung und Aufarbeitung, um die offenen Fragen der Angehörigen zu beantworten und staatliche Strukturen zur Verantwortung ziehen zu können. Orte für Trauer und Wut, damit die Menschen nicht in Vergessenheit geraten und die gesellschaftliche Auseinandersetzung verstetigt werden kann. Die Forderung nach einem dauerhaften Erinnerungs- und Gedenkort an die Betroffenen des NSU-Komplexes in Chemnitz ist weiterhin aktuell. Ein Konzept für einen solchen Erinnerungs- und Gedenkort wurde bereits verfasst.
Entgegen dem Vergessen – in Gedenken an
Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter
Weitere Informationen zum Wandbild finden sich unter https://www.in-unserer-mitte.art/. Unser Konzept für einen Erinnerungs- und Gedenkort für die Betroffenen des NSU sowie unsere Forderungen: https://offener-prozess.de/remember-the-future/das-konzept/
Mit freundlichen Grüßen
Der Verein ASA-FF und seine Projekte:
Offener Prozess
re:member the future
neue unentd_ckte narrative
Gründungsgarage
#Heimspiel
Unterzeichner*innen der Zivilgesellschaft:
Freiraumgalerie – Kollektiv für Raumentwicklung
SPD-Stadtratsfraktion Chemnitz
Fraktionsgemeinschaft DIE LINKE/Die PARTEI im Chemnitzer Stadtrat
Fraktionsgemeinschaft BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V.
AGIUA e.V. Migrationssozial- und Jugendarbeit
Bündnis Chemnitz Nazifrei
ZEOK e.V
Verband der Freien darstellenden Künste Chemnitz e.V
Initiative München OEZ erinnern!
Gabi Reinhardt, KünstlerinVerband der Freien darstellenden Künste Chemnitz e.V
Etelka Kobuß, Migrationsbeauftragte der Stadt Chemnitz
Silvia Werner, Netzwerk Festivalfriends
Stephan Schurig, TU Chemnitz
Carolin Juler, Stadträtin Chemnitz
Anica Happich, Phoenix Theaterfestival
Anne Schneider, Regisseurin
Maren Barnikow, Freie Theatermacherin/Kulturwissenschaftlerin
Ute Gröbel & Antonia Beermann, künstl. Leiterinnen HochX Theater und Live Art München
Ida Daniel, Implantieren Festival für Performing Arts
Karlskopf Chemnitz
Noah Edig
Annerose Barnikow
Isabel Bunce
Wenn Sie sich unserem Offenen Brief anschließen möchte, können Sie uns gerne eine Mail an presse@asa-ff.de schreiben.